Guter Start für gesunde Fresser
Um Fresser von verschiedensten Milchviehbetrieben gesund aufzuziehen, sind alle Beteiligten gefordert. Welche Voraussetzungen für einen guten Start die Ursprungsbetriebe, die Transporteure und die Aufzuchtbetriebe erfüllen müssen, berichten ein Tierarzt und ein Praktiker.
Bericht aus der ‚Top Agrar‘ 09/2020
mit Waldemar Debletz (rechts), Tierarzt der Tierärztlichen Gemeinschaftspraxis BSB, als Experten.
Foto: Heil
Autorin: Katharina Lütke Holz
Eine Gruppe von 100 Fressern kommt nicht selten von 95 ver- schiedenen Milchviehbetrieben.
Diese füttern die Kälber unterschiedlich, führen verschiedene Prophylaxemaßnahmen durch und unterscheiden sich in der Keimbelastung auf ihren Betrieben. Das macht die erfolgreiche Fresseraufzucht zur Herausforderung.
Erfahrungen von spezialisierten Tierärzten zeigen, dass Impfungen direkt nach der Ankunft der Kälber auf den Fresseraufzuchtbetrieben den Start deutlich erleichtern: Die Kälber erhalten dann am Tag des Einstallens eine Impfung gegen die Atemwegserreger BRSV, Parainfluenza 3 und M. haemolytica und eine Versorgung mit Vitaminen.
Aufgrund der Vielzahl der Herkunftsbetriebe ist aus Tierschutzgründen häufig zusätzlich eine metaphylaktische Antibiotikabehandlung der ganzen Gruppe gegen Atemwegs- und Durchfallerreger unumgänglich.
Diese Antibiotikabehandlung steht jedoch in der Kritik. In der Aufzucht versuchen Tierärzte sie gemeinsam mit Landwirten zu reduzieren. Denn das Ziel von spezialisierten Fresseraufzüchtern ist, eine gute Tiergesundheit und damit hohe Tageszunahmen von etwa 1250 g/Tag bei möglichst geringem Medikamenteneinsatz zu erreichen. Das gelingt, indem die Betriebsleiter die Haltung und das Betriebsmanagement ständig weiter optimieren.
Gut vorbereitet
Erhalten Bullenkälber bereits im Herkunftsbetrieb eine optimale Versorgung, erleichtert das ihre Gesunderhaltung während und nach dem Transport und senkt die Therapiehäufigkeit. Auch wenn sich einige Prophylaxemaßnahmen auf den Milchviehbetrieben mit niedrigen Verkaufspreisen für Bullenkälber kaum finanzieren lassen, verbessern sie auch die Herdengesundheit insgesamt. Die wichtigsten Maßnahmen auf Milchviehbetrieben, die Bullenkälber über Viehhändler oder Märkte in die Fresseraufzucht verkaufen, sind:
- Kälber sollten ausreichend hygienisches und hochwertiges Kolostrum innerhalb der ersten Lebensstunden erhalten. Das ist der beste und wichtigste Schutz gegen frühe Infektionen.
- Eine Eisengabe nach der Geburt. Diese kann Blutarmut der Kälber vorbeugen, verbessert ihre Zunahmen und Immunabwehr. Zusätzlich fördert eine Injektion von Vitamin E und Selen die unspezifische Immunabwehr.
- Der Einsatz von Mutterschutzimpfungen bei den Kühen gegen Durchfallerreger wie E. coli, Rotavirus und Coronavirus und/oder Atemwegserreger. Anschließend nehmen die Kälber mit dem Kolostrum von der Mutter gebildete Abwehrstoffe auf.
- Die erste Impfung der Kälber ab dem achten Lebenstag gegen die Atemwegserreger BRSV, Parainfluenza 3 und M. haemolytica. Diese hält bis zu zwölf Wochen an, sodass sie im Fresseraufzuchtbetrieb wiederholt werden kann.
oben Ein Teil der Lunge ist nach einer Mykoplasmen-Infektion abgestorben.
links Von Kokzidien ausgelöster Durchfall beim Fresser.
Fotos: Debletz
- Stark mit Kokzidien belastete Milchviehbetriebe sollten ihre Kälber frühzeitig mit einem Kokzidiostatikum behandeln, um die Erregerausbreitung bei den Kälbern zu vermeiden. Durch Kokzidien kommt es auf Fresserbetrieben teilweise am Tag des Einstallens zu blutigem Durchfall mit tödlichem Verlauf.
- Kein mit Mykoplasmen belastetes Kolostrum verfüttern und betroffene Kühe merzen. Mykoplasmen lösen chronische und schwer therapierbare Entzündungen der Lunge, der Gelenke oder des Mittelohres aus. Die Kälber infizieren sich z. B über Milch betroffener Kühe, erkranken aber erst nach Stresssituationen, wie dem Transport.
- Saubere Enthornung in zeitlich ausreichendem Abstand zum Transport. Wenn Kälber nicht oder nicht ausreichend enthornt sind, zeigt sich das oft erst Wochen nach dem Einstallen. Zu diesem Zeitpunkt bedeutet eine Enthornung mit Betäubung durch den Tierarzt jedoch viel Stress für die Tiere. Für die Aufzüchter steigen zudem der Arbeitsaufwand und die Kosten.
- Kälber auf Nabelentzündungen und Nabelbrüche kontrollieren und behandeln. Denn auf dem Herkunftsbetrieb ist die Behandlung meist unkompliziert, während eine verschleppte Entzündung deutlich schwerer zu behandeln ist und den Kälbern stärker zusetzt.
Wenig Stress, viel Hygiene
Neben der Versorgung der Kälber auf den Herkunftsbetrieben spielen Transport- und Einstallbedingungen eine wichtige Rolle in der Fresseraufzucht:
- Kurze Aufenthaltszeiten auf Märkten und ein zügiger Transport, möglichst ohne Unterbrechung, tun den Kälbern gut. Hilfreich ist auch, sie vor dem Transport mit einem Antazidum zu versorgen, das die Magensäure puffert. Denn lange Transport- und unregelmäßige Tränkezeiten verursachen Stress und können Labmagenentzündungen und -geschwüre hervorrufen. Solche Kälber trinken nicht mehr und brauchen eine intensive Behandlung.
- Kälber in sauberen, desinfizierten und trockenen Stall einstallen, der im Rein-Raus-Verfahren betrieben wird. So lässt sich der Keimdruck senken.
- Ein gezieltes Impfprogramm sollte mit dem betreuenden Tierarzt abgestimmt sein. Treten während der Aufzucht gehäuft Probleme auf, sollte der Tierarzt die Ursache über weiterführende Diagnostik wie Kot- und Lungenspülproben oder Sektionen ermitteln.
- Optimal für Fresser sind Offenställe oder gut gelüftete Warmställe. Insbesondere in Warmställen, in denen die feuchte Luft im Winter stehen bleibt, beobachten Tierärzte deutlich mehr Probleme mit Lungenerkrankungen.
Klares Konzept zahlt sich aus
Der Fresseraufzuchtbetrieb der Familien Harting und Kühling erreicht Tageszunahmen von 1250 g pro Tag. Grundlage dafür ist Konsequenz in den Bereichen Tiergesundheit und Fütterung.
Dorthe Harting ist froh, dass sie durch die Automatisierung im Stall viel Zeit für die Tierbeobachtung hat.
Denn die Arbeit mit den Tieren begeistert sie. Gemeinsam mit ihrem Mann Andreas und ihren Eltern Christiane und Walter Kühling sowie einem Angestellten bewirtschaftet Dorthe Harting den Betrieb mit 950 Fresseraufzuchtplätzen an drei Standorten in Lüsche im Landkreis Vechta (Niedersachsen).
Vor 35 Jahren ist Walter Kühling in die Fresseraufzucht eingestiegen. „Das war eine gute Lösung für einen flächenarmen Betrieb. Milchviehbetrieb Doch der Start ist nicht einfach, denn Fresseraufzüchter sind nicht so gut vernetzt wie z.B. Milchviehbetriebe“, sagt er. Darum ist die Familie besonders stolz darauf, dass sie inzwischen ihr Ziel erreicht hat und mit einem festen Abnehmer für ihre Tiere arbeiten kann: Sie verkauft alle Fresser nach der Aufzucht mit 200 bis 230 kg Lebendgewicht in großen Partien an den gleichen Bullenmastbetrieb. „Wir machen quasi die Vorarbeit, damit die Bullenmast reibungslos läuft. Alle Tiere erhalten bei uns die nötigen Impfungen und Entwurmung und haben beim Verkauf den gleichen Gesundheitsstatus“, erklärt Walter Kühling. Zugleich hat der Betrieb eine Abnahmesicherheit und kann Ausstalltermine besser planen. Doch bis zum Verkauf ihrer Fresser ist es ein langer Weg.
Walter Küling und Tierarzt Waldemar Debletz kontrollieren die neu eingestalten Fresser. Foto: Kühling
Die ersten Tage sind die Basis
Den überwiegenden Teil der Kälber kauft die Familie direkt auf Viehmärkten wie Bayreuth und Miesbach in Bayern. Das erledigen Einkäufer für sie, die ihre Ansprüche kennen. Die Kälber sind zu dem Zeitpunkt vier bis sechs Wochen alt und wiegen zwischen 70 und 95 kg. Nach der Versteigerung werden sie verladen und auf direktem Weg nach Lüsche transportiert. „Wir stallen wöchentlich Gruppen von 30 bis 50 Kälbern ein. Sie stammen meist von genauso vielen einzelnen Herkunftsbetrieben“, erklärt Dorthe Harting. Daher versuchen die Betriebsleiter, den Kälbern durch verschiedene Maßnahmen zu einem guten Start zu verhelfen.
Die Ställe bewirtschaften sie im Rein- Raus-System und waschen und desinfizieren sie nach jedem Durchgang. Bei der Ankunft erhalten die Kälber eine Grippeschutzimpfung.
Diese wiederholt der Betrieb in Absprache mit den betreuenden Tierarztbrüdern Dr. Eduard und Waldemar Debletz während der Aufzucht noch zwei weitere Male. Das schafft eine gute Grundlage für einen hohen Gesundheitsstatus.
Die Familie versucht, das Einstallen möglichst stressfrei zu gestalten: Nach der Ankunft sollen die Kälber zunächst einige Stunden in der neuen Umgebung zur Ruhe kommen, dabei haben sie Wasser zur freien Verfügung. Nach drei bis fünf Stunden tränken die Betriebsleiter sie das erste Mal an.
Trotz der guten hygienischen Einstallbedingungen ist der Krankheitsdruck durch die verschiedenen Herkünfte massiv.
„Meine Wunschvorstellung ist deshalb, dass wir irgendwann Kälber einstallen können, die bereits auf dem Herkunftsbetrieb eine Grippeschutzimpfung erhalten haben“, sagt Walter Kühling. Seine Tochter ergänzt: „Für vorher geimpfte Fresser sind wir bereit, mehr zu zahlen.“ Denn diese hätten damit bereits beim Transport eine bessere Immunabwehr, auch gegen andere Erkrankungen. Bei der Ankunft auf dem Aufzuchtbetrieb könnten diese Kälber dann bereits die erste Wiederholungsimpfung erhalten.
Für Kälber, die bereits krank auf den Betrieb kommen oder sich schlecht entwickeln, können die Betriebsleiter Nachforderungen an den Einkäufer stellen. Dafür benötigen sie einen tierärztlichen Nachweis über die Erkrankung. Neben der Hygiene und den Impfungen trägt auch das Stallklima entscheidend zur Gesundheit bei. „Im Winter oder wenn die Außenluft feucht ist, heizen wir den Vorraum des Stalles mit Gasstrahlern“, erklärt Walter Kühling. So enthält die Außenluft weniger Feuchtigkeit, wenn die Lüftung sie in den Stall saugt.
links und oben Dorthe Harting setzt auf die automatische Fütterung, um Arbeitszeit zu sparen. Fotos: Harting, Heil
Fütterung mit System
Vom ersten Tag an füttert die Familie die Fresser mit einer Trockenen Totalen Mischration (Trocken-TMR), die sie im Laufe der ersten Woche langsam mit Kraftfutter versetzen. An dem größten der drei Betriebsstandorte mischt ein Fütterungsroboter die Ration und legt sie vor. Die Kraftfuttermenge in der Ration steigt in der Tränkephase langsam. Das Abtränken der Fresser beginnt jedoch erst, wenn die Tiere im Schnitt täglich 1,5 kg Kraftfutter fressen. So sind die Kälber meist nach etwa 40 Tagen Tränkezeit abgetränkt. Ein Energieloch während dieser Wechselphase versuchen die Betriebsleiter durch die zusätzliche Fütterung von Futterfetten zu vermeiden. Diese erhalten die Kälber acht Tage vor bis acht Tage nach dem Abtränkzeitpunkt über die Mischration – also während des Übergangs von Milch und Trocken- TMR auf Maissilage und Kraftfutter.
Durch die konsequenten Prophylaxemaßnahmen und die kontrollierte Fütterung erreichen die Fresser durchschnittliche Zunahmen von 1200 bis 1250 g/Aufzuchttag. Um die Fütterung noch enger kontrollieren und anpassen zu können, plant Dorthe Harting die Kälber künftig auch während der Aufzucht mit einer Waage für Kleingruppen zu wiegen.
Die Verlustrate liegt auf dem Betrieb bei 1 bis 1,5 %. Walter Kühling geht davon aus, dass sich die Tiergesundheit durch die Zusammenarbeit mit dem Bullenmastbetrieb noch weiter verbessert: „Wir bekommen regelmäßig Rückmeldungen, wie sich die Fresser entwickeln. So können wir unsere Arbeitsweise ggf. anpassen.“